SIKO und Antikriegskampf

Seit einigen Jahren sind die jährlichen Proteste gegen die Sicherheitskonferenz ein wichtiger Termin für die linke Bewegung in Augsburg. Umso mehr hat es uns gefreut, dass die diesjährige Augsburger Anreise und Beteiligung am antikapitalistischen Block so groß war. Während unsere Anreise mit weiteren linken Gruppen schon die vergangenen Jahre deutlich übertraf, war die große Beteiligung der palästinensischen Freund*innen und der Gruppe „Augsburg für Palästina“ an den Protesten ebenso ein Grund zur Freude. Einen ausführlichen Bericht von der Demonstration, weiteren Aktionen und eine Einschätzung haben die Genoss*innen von Perspektive Kommunismus bereits veröffentlicht. Wir möchten nochmal auf den Beitrag von PK auf dem Zusammenkommen nach der Demonstration aufmerksam machen, den wir im Folgenden spiegeln:

Einige Überlegungen zum Antikriegskampf:

Linke Antikriegsaktivitäten haben derzeit einen schweren Stand:

  • Die bürgerliche Ideologie vom westlichen Kampf um Freiheit, Demokratie, Souveränität etc. ist derzeit so intensiv und durchdringend, wie schon lange nicht mehr – und sie reicht leider auch weit bis in die radikale und liberale Linke hinein.
  • Es gibt ein hohes Level an staatlicher Repression und medialer Stigmatisierung gegen linke Positionen, die sich gegen die westlichen Kriegstreiber richten
  • rechte und rechtsoffene Kräfte sind derzeit in der Lage, sich als Kriegsgegner zu inszenieren. Reaktionäre und verschwörungstheoretische Positionen in der Kriegsfrage finden verhältnismäßig viel Beachtung und sind ein zusätzliches Gegengewicht zu klassenkämpferischen und internationalistischen Positionen.
  • Und wir sollten nicht vergessen, dass Orientierungspunkte für einen linken Antikriegskampf weit weg sind bzw. weit zurück liegen: Die letzten Massenproteste und Massenstimmungen gegen deutsche Kriegsbeteiligung, in denen linke Positionen und Strukturen eine gewisse Rolle gespielt haben und größere Strahlkraft hatten, sind inzwischen 20 Jahre her (Irak-Krieg 2003). Nur wenige Strukturen der radikalen und revolutionären Linken haben in den letzten Jahren eine kontinuierliche praktische Arbeit zu Krieg und Aufrüstung aufrecht erhalten

Wir gehen allerdings davon aus, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse aktuell nicht stabil sind – und dass diese hemmenden Faktoren damit auch nicht bestimmend bleiben müssen.

Wir befinden uns in einer Phase, in der die Krise des Kapitalismus Widersprüche an vielen Stellen gleichzeitig aufreißt. Und es gibt eine gegenseitige Bestärkung dieser Krisenmomente.

Zur Bewältigung dieser Situation geht das gesamte bürgerliche Lager derzeit Schritte in eine autoritäre Richtung, die sich auch im aktuellen Kriegskurs niederschlägt. Von (noch kleinen) Teilen wird dabei sogar die faschistische Option wieder ins Rennen gebracht – und das sollte schon deshalb ernstgenommen werden, weil reaktionäre Antworten auf die Krise auch von breiten Teilen der Bevölkerung in unterschiedlicher Schärfe mitgetragen werden.

Trotz dieser Entwicklungen ist unklar, ob es den Herrschenden gelingen kann, den dynamischen Aufbruch von Klassenwidersprüchen – so könnte man die Auswirkungen der Krisendynamiken zusammenfassen – unter Kontrolle zu bringen und auf lange Sicht zu befrieden. Es scheint uns wahrscheinlicher, dass wir auf eine unruhige Phase neuer Protestbewegungen und sozialer Kämpfe zusteuern.

Es stellt sich also auch bei dem aktuell sehr hektisch vorangetriebenen Kurs von Aufrüstung, Kriegsbeteiligung und ideologischer Mobilmachung die Frage: Wo stößt er an seine Grenzen, wo bringt er Gegenkräfte hervor?

In Keimform lassen sich solche Entwicklungen schon erahnen:

  • Eine wirkliche Kriegslust hält sich allem Enthusiasmus der herrschenden Propaganda zum Trotz in Deutschland noch in Grenzen. Der Kurs auf eine schnelle Erhöhung der „Wehrtüchtigkeit“ konnte noch nicht im größerem Maße in der Bevölkerung verankert werden.
  • Diejenigen, die heute schon in Aktion gegen Kriege treten, befinden sich schnell in härterer Konfrontation mit einem Staat, der immer weniger dazu bereit ist, Abweichungen vom dominierenden Kurs zu dulden oder zu integrieren. Das kann die Radikalisierung von Kämpfen bestärken.Spürbar ist das aktuell wohl in erster Linie in der Frage der Palästina-Solidarität.
  • Der Kriegskurs selbst kann zum Krisenkatalysator werden, also Krisen in anderen gesellschaftlichen Bereichen verstärken oder hervorrufen, was sich bereits am Wirtschaftskrieg gegen Russland mit den explodierenden Energiepreisen und der Tendenz zur Deindustrialisierung gezeigt hat.

Es deutet sich nicht an, dass diese Entwicklungen in einem direkten Aufschwung einer linken Antikriegsbewegung münden. Aber: Die linken Antikriegs-Aktivitäten, die es heute dennoch gibt, sind vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund sehr wichtig, um politische Orientierung zu bieten, an der es im Allgemeinen mangelt – und das nicht nur in der Breite der Bevölkerung, sondern auch in der Linken. Es hat einen langfristigen Wert, heute Ansätze für Kampagnen und längerfristige Antikriegsarbeit auszuprobieren und nach Formen für eine widerständige, kämpferische Praxis zu suchen.

Dabei können bereits „im Kleinen“ verschiedene Dimensionen des Antikriegskampfes miteinander verbunden werden, was dem Kampf eine gewisse Tiefe verleiht, ihn als Teil eines revolutionären Prozesses umreißt. Wichtige Dimensionen sind:

1. den Angriff auf die Kriegstreiber im eigenen Land

2. die internationale Solidarität

3. die Verbindung zu anderen Widerstandskämpfen (z.B. Arbeitskämpfe, Frauenbefreiung, Kampf gegen Rechts, Klimakampf…)

4. die Verbindung zur Geschichte des antagonistischen / revolutionäreren Antikriegskampfes

5. die Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft

Eine besondere Qualität von Mobilisierungen, sehen wir in der Einbeziehung und Verbindung dieser verschiedenen Zusammenhänge. Und wir denken, dass das auch an einigen Stellen in der Arbeit rund um die diesjährigen SIKO-Proteste sichtbar war.

Was wir an dieser Stelle außerdem als Qualität hervorheben möchten, ist es, an einem organisierten und kämpferischen Auftreten auf der Straße festzuhalten – es ist wichtig, dass Inhalt und Form nicht zu weit auseinanderfallen. Und wenn der Sturz des Kapitalismus das Ziel ist, sollte das auch in der Art und Weise auf die Straße zu gehen, sichtbar sein.

Wir wissen, dass das gerade hier in München keine einfache Sache ist. In diesem Zusammenhang möchten wir auch nocheinmal darauf hinweisen, dass Aktivist:innen heute mit einer Aktion gegen das Rüstungsunternehmen “ESG” in Fürstenfeldbruck einen Weg gefunden haben, um selber den Ort, die Zeit und die Art der Konfrontation mit den Kriegstreibern selbst zu bestimmen

Teil des revolutionären Aufbaus

In der aktuellen Phase sehen wir unsere Aufgabe vor allem darin, Gegenmacht aufzubauen, uns mit Offenheit und Fehlertoleranz an eine zeitgemäße revolutionäre Strategie heranzutasten. Das heißt:

  • Vor allem praktische Handlungsfähigkeit auf verschiedenen Feldern des Klassenkampfes herzustellen. Dazu zählen wir auch politische Widerstandskämpfe, deren Klassencharakter nicht immer im Vordergrund steht. Auch wenn das meist eher ein Vorantasten und Ausprobieren ist und noch keinen Massencharakter hat – so zum Beispiel bei den Antikriegsaktivitäten
  • Tragfähige revolutionäre Organisierungen zu entwickeln, die für langen Atem sorgen und den Angriffen der Gegenseite auf linke Politik standhalten können
  • Die revolutionäre Alternative – den Aufbau des Sozialismus – in den Tageskämpfen sichtbar machen – dafür zu argumentieren, die Möglichkeit überhaupt wieder ins zu Rennen bringen. Dabei spielen auch die Verbindungslinien zu vergangenen revolutionären Bewegungen und sozialistischen Versuchen eine wichtige Rolle für uns – als Teil der eigenen Geschichte, die wir uns solidarisch, aber nicht unkritisch aneignen.

Auch wenn das alles im Alltag nicht leicht zu verwirklichen ist, sehen wir derzeit doch eine vielversprechende Suchbewegung in großen Teilen der linken und revolutionären Bewegung.

Der Bedarf nach Austausch und Orientierung ist überall spürbar. Im vergangenen Herbst beim Zusammenkommen auf dem Protestcamp gegen die IAA hier in München, ebenso bei der Konferenz zum 100. Jubiläum des Hamburger Aufstands und vor ziemlich genau einem Monat bei den Aktivitäten rund um das Gedenken an Luxemburg-Liebknecht und Lenin in Berlin – um nur ein paar Beispiele des Zusammenkommens aus den letzten Monaten zu nennen.