Vor 100 Jahren starb der Revolutionär Wladimir Iljitsch Lenin in Gorki bei Moskau. Wir begreifem Lenin als einen der wichtigsten Denker des Marxismus, als bedeutenden Strategen und Organisator einer revolutionären Partei. Auch heute sind seine Theorien nicht nur Handwerkszeug für Analysen, sondern auch als Instrument für eine revolutionäre Praxis. Auch wenn sich heute nicht alles schematisch übernehmen lässt, ist eine Auseinandersetzung mit seinen Analysen und seinem Leben bedeutsam. An Lenin Erinnern und Gedenken bedeutet für uns vor allem, sein Erbe anzunehmen und seinen Kampf weiterzuführen. Gerade in Zeiten von Krieg und Krise können Lenin und die Bolschewiki uns als Vorbilder dienen, um derartige Situationen in den Aufbau revolutionärer Gegenmacht zu lenken.
Der Augsburger Dichter Bertolt Brecht ehrte Lenin mit seinem Gedicht Die Teppichweber von Kujan-Bulak ehren Lenin, welches wir zu diesem Anlass mit euch teilen möchten:
Bertolt Brecht
Die Teppichweber von Kujan-Bulak ehren Lenin
Oftmals wurde geehrt und ausgiebig
Der Genosse Lenin. Büsten gibt es und Standbilder.
Städte werden nach ihm benannt und Kinder.
Reden werden gehalten in vielerlei Sprachen
Versammlungen gibt es und Demonstrationen
Von Shanghai bis Chicago, Lenin zu Ehren.
So aber ehrten ihn die Teppichweber von Kujan-Bulak
Kleiner Ort im südlichen Turkestan:
Zwanzig Teppichweber stehn dort abends
Fiebergeschüttelt auf von dem ärmlichen Webstuhl.
Fieber geht um: die Bahnstation
Ist erfüllt von dem Summen der Stechmücken dicker Wolke
Die sich erhebt aus dem Sumpf hinter dem alten Kamelfriedhof.
Aber die Eisenbahn, die
Alle zwei Wochen Wasser und Rauch bringt, bringt
Eines Tages die Nachricht auch
Daß der Tag der Ehrung des Genossen Lenin bevorsteht,
Und es beschließen die Leute von Kujan-Bulak
Arme Leute, Teppichweber
Daß dem Genossen Lenin auch in ihrer Ortschaft
Aufgestellt werde die gipserne Büste.
Als nun aber das Geld gesammelt wird für die Büste
Stehen sie alle geschüttelt vom Fieber und zahlen
Ihre mühsam erworbenen Kopeken mit fliegenden Händen.
Und der Rotarmist Stepa Gamalew, der
Sorgsam Zählende und genau Schauende
Sieht die Bereitschaft, Lenin zu ehren, und freut sich
Aber er sieht auch die unsicheren Hände.
Und er macht plötzlich den Vorschlag
Mit dem Geld für die Büste Petroleum zu kaufen und
Es auf den Sumpf zu gießen hinter dem alten Kamelfriedhof
Von dem her die Stechmücken kommen, welche
Das Fieber erzeugen.
So also das Fieber zu bekämpfen in Kujan-Bulak, und zwar
Zu Ehren des gestorbenen, aber
Nicht zu vergessenden
Genossen Lenin.
Sie beschlossen es. An dem Tage der Ehrung trugen sie
Ihre zerbeulten Eimer, gefüllt mit dem schwarzen Petroleum
Einer hinter dem anderen hinaus
Und begossen den Sumpf damit.
So nützten sie sich, indem sie Lenin ehrten und
Ehrten ihn, indem sie sich nützten, und hatten ihn
Also verstanden.
Wir haben gehört, wie die Leute von Kujan-Bulak
Lenin ehrten. Als nun am Abend
Das Petroleum gekauft und ausgegossen über dem Sumpf war
Stand ein Mann auf in der Versammlung, und der verlangte
Daß eine Tafel angebracht würde an der Bahnstation
Mit dem Bericht dieses Vorgangs, enthaltend
Auch genau den geänderten Plan und den Eintausch der
Leninbüste gegen die fiebervernichtende Tonne Petroleum.
Und dies alles zu Ehren Lenins.
Und sie machten auch das noch
Und setzten die Tafel.